Lächeln genügt - Eintritt frei

 

"Lächeln genügt – Eintritt frei"

Gefunden auf einem alten Tonbandgerät, in einer Mülltonne neben einem niedergebrannten Kirmesgelände in Norddeutschland. Die Stimme klingt brüchig, zittrig – nicht alt, sondern gebrochen. Die Polizei hat nie einen Besitzer zuordnen können. Der Park, auf den sich das Band bezieht, existiert laut offiziellen Unterlagen nicht.


🎧 Tonbandprotokoll – Beginn der Aufnahme

„Ich weiß nicht, ob jemand das je hören wird. Aber wenn ja – wenn ihr das findet – geht nicht zum Freizeitpark hinter der Baumgrenze. Der mit dem verblassten Plakat. Der mit dem Clown drauf. Ich war da. Ich habe alles gesehen.“


🎠 Kapitel 1: Der Eingang

Ich war auf der Durchreise. Ländliche Straße, schlechte Navigation, kaum Empfang.
Es war schon dämmrig, als ich die Abzweigung sah: Ein altes, verrostetes Schild mit krakeliger Schrift:
"Freizeitpark Löwenlach – Eintritt frei, Lächeln genügt!"

Ein Clown zierte das Schild.
Nicht bunt.
Nicht lustig.
Sondern in Schwarzweiß. Und sein Lächeln… war zu breit.

Der Eingang war offen. Ohne Drehkreuz. Nur ein Drehkreuzschatten – an der Wand, wo kein Drehkreuz war.
Ich hörte Musik – Karussellmusik.
Doch sie lief rückwärts.


🎡 Kapitel 2: Der Park

Es roch nach Zuckerwatte, Moder und… etwas, das ich erst später erkannte:
Verbranntes Haar.

Der Park war leer. Kein Müll, keine Menschen.
Aber Fahrgeschäfte bewegten sich.
Alle.
Langsam.
Ohne Strom, ohne Fahrer.

Das Riesenrad drehte sich ruckelnd. In einer Gondel hing ein Luftballon – der schwankte, obwohl kein Wind ging.

Ich rief: „Hallo?“
Nichts.
Nur ein Flüstern, wie durch ein Lautsprechersystem:

„Du siehst heute so fröhlich aus. Lächeln… genügt.“

Ich habe nicht gelächelt.
Ich glaube… das war mein Fehler.


🤡 Kapitel 3: Clownhaus

Ein Schild zeigte zur Attraktion „Clownhausen – Lache dich zu Tode!“
Ironisch, dachte ich.
Ich hatte keine Ahnung.

Die Tür ging auf, ohne dass ich sie berührte.
Innen war es rot. Nur rot. Roter Teppich, rote Wände, rotes Licht. Kein Weiß. Kein Gelb. Nur Rot.
Und auf jedem Spiegel stand:

„Spiegeln wir dich richtig?“

Die Spiegel zeigten mich nicht.
Sie zeigten einen Mann – mit Clownsschminke. Der wiegte sich, schnitt Grimassen, lachte lautlos.
Dann sah ich genauer hin.

Er trug meine Kleidung.


🎢 Kapitel 4: Die Gesichterfahrt

Ich rannte raus.
Wollte weg.
Aber alles hatte sich verändert.
Die Wege waren anders. Türen, wo vorher Wände waren. Fahrgeschäfte, wo vorher Bäume standen.

Ein Fahrgeschäft nannte sich:
„Gesichterfahrt – Finde deins.“

Ich wurde hineingezogen.
Nicht metaphorisch.
Etwas hat mich gepackt.

Ich saß in einem Wagen. Vor mir: Schwarze Tunnel mit zuckenden, flackernden Lichtern.
An den Wänden: Gesichter.
Richtige.
Abgezogene.
Wie Masken aufgenagelt. Und manche – flüsterten.

„Gib uns deines… es ist noch frisch.“

Ich schloss die Augen.
Aber das war schlimmer.
Denn sie fingen an, meine Lider zu küssen.


🎟️ Kapitel 5: Ausgang – Nur mit Lächeln

Ich fand den Ausgang. Irgendwie.
Aber er war versperrt.
Von ihm.

Dem Clown.

Er stand da, riesig. Zwei Meter. Knochenweiß. Der Mund zugenäht mit Stacheldraht. Augen – keine.
Stattdessen zwei Löcher, aus denen Kinderstimmen kamen.
Er zeigte auf ein Schild:

„Wer nicht lacht, bleibt.“

Ich… konnte nicht lachen.
Meine Gesichtsmuskeln waren eingefroren, voller Angst, voller Kotze, voller Zittern.

Da kam er näher.
Setzte sich vor mich.
Und begann zu kichern.

Das Kichern… ging in mich hinein.
Ich hörte es jetzt in meinem Hinterkopf. Es vibrierte unter meiner Haut.
Ich fühlte… wie mein Mund sich langsam aufriss.
Nicht freiwillig.
Nicht muskulär.

Die Haut platzte auf.
Ich begann zu lächeln.
Widerlich. Verzerrt.
Die Zähne splitterten. Die Lippen platzten.
Ich… lächelte.

Und dann durfte ich gehen.


📼 Ende der Tonbandaufnahme

Letzter Ton:
Eine Karussellmelodie.
Abwärts abgespielt.
Und ganz leise: ein Satz.

„Du warst im Park. Jetzt ist der Park in dir.“

Comments

Popular posts from this blog

Tagebuch eines Verlorenen - Marrak will rein

Marraks Testament

Tagebuch eines Verlorenen-Teil 2: Der neue Wirt