Teil 5: Die Letzte Vorstellung
Teil 5: Die Letzte Vorstellung
Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage vergangen sind. Vielleicht Wochen. Vielleicht… ich war nie wirklich draußen. Vielleicht war ich nie jemand anderes. Vielleicht war ich schon immer hier – in diesem Park, der lebt, der atmet, der mich liebt wie ein kaputtes Spielzeug.
Ich bin aufgewacht mit Fäden in meiner Haut. Meine Augen haben eine andere Farbe. Meine Stimme klingt wie eine kaputte Spieluhr. Ich lache, ohne Grund. Und wenn ich weine, ist es Konfetti, das aus meinen Augen rieselt.
Es gibt nur noch eine Attraktion.
Das Zelt.
Es steht am Ende der Welt. Dort, wo der Himmel reißt und das Karussellschreien leiser wird. Der Boden dort besteht nicht aus Erde – sondern aus Gesichtern. Tausende. Eingestampft, flach wie Fliesen. Einige bewegen sich noch. Ihre Münder öffnen sich in stummen Schreien.
Ich ging.
Weil ich musste. Weil er mich rief.
Das Zelt ist rot-weiß, doch die Farben sind wie Fleisch – rot, weil es blutet, weiß, weil darunter Knochen sind. Am Eingang stand ein Schild:
"Finale Vorstellung. Nur für dich."
Ich trat ein.
Und sah sie alle.
Alle, die ich kannte. Meine Mutter, mein kleiner Bruder, meine Nachbarin, meine alte Schulfreundin, die sich umgebracht hat. Sie alle saßen auf den Rängen. Stille. Ihre Münder zugenäht. Ihre Augen tränten. Und auf der Bühne…
Er.
Der Clown.
Doch nicht der, den ich sah. Sondern das, was dahinter war. Eine groteske Kreatur, die wie ein menschlicher Körper aus anderen Menschen bestand. Aus Nägeln und Zähnen, aus Hautfetzen und Stacheldraht. Sein Lächeln war ein tiefes, endloses Maul mit Kinderarmen, die sich an die Ränder klammerten, als würden sie herausgezogen.
„Willkommen zu deinem Erwachen.“
Er sprach ohne Stimme. Ich hörte es direkt in meinem Schädel, wie einen Schrei aus meinem Rückenmark.
Dann kam die Vorstellung.
Ich stand auf der Bühne.
Sie schnallten mich fest.
„Zeig ihnen, wer du wirklich bist.“
Licht ging aus. Ein einziger Scheinwerfer auf mich. Ich wurde zerlegt. Nicht von Werkzeugen – von Worten, von Erinnerungen. Ich sah alles noch einmal. Wie ich mein erstes Haustier getötet habe. Wie ich meiner Schwester im Schlaf das Haar abschnitt und ins Klo spülte. Wie ich meinem Spiegelbild mit fünf Jahren sagte, es soll sterben. Und es lächelte.
Ich habe mich nie erinnert. Aber ich war immer schon ein Teil davon. Vom Park. Vom Clown. Vom Dunkel hinter den Lichtern.
Sie nähten meine Haut zu. Stopften mich aus mit Stroh. Sie malten mir ein Lächeln. Und ich…
… ich klatschte.
Mit dem Publikum.
Ich sah zu, wie ich selbst auf der Bühne starb.
Und als der Vorhang fiel, wurde ich eins mit dem Park. Ein Clown. Ein Schatten. Ein Echo in jedem Spiegel.
Und wenn du dies liest…
… dann bist du eingeladen.
Der Park ist offen.
Für dich.
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