Spiel mit uns!

„Spiel mit uns“

(Fundstück aus dem Tagebuch einer Ermittlerin, Fallakte #731, nicht offiziell veröffentlicht)

13. Oktober – 17:46 Uhr
Ich schreibe das hier, weil ich nicht weiß, wie lange ich noch denken kann, ohne zu schreien.

Die Kinder aus der Siedlung – sie waren nur neugierig. Zehn, elf, zwölf Jahre alt. Hannah, Leon, Marie, Tim. Freunde seit dem Kindergarten. Die Art von Kindern, die jeden Freitag im alten Baumhaus im Wald hocken, Chips essen und sich Gruselgeschichten erzählen.

Bis Hannah ein Ouija-Brett mitbrachte.

Sie sagte, sie hätte es auf dem Dachboden ihrer Oma gefunden. Altes Holz, eingebrannte Buchstaben, das Planchette wie aus Menschenknochen geschnitzt. Sie fand’s cool. Die anderen auch. Ein kleiner Nervenkitzel, dachten sie.

Sie wollten ein „Geist-Ritual“ machen. Einfach so. Für den Kick.

13. Oktober – 18:23 Uhr
Leon filmte alles mit seinem Handy. Ich habe später das Video gesehen. Ich wünschte, ich hätte es nie geöffnet.

Das Brett liegt auf einer alten Decke. Die Kinder lachen noch. Tim macht sich lustig über das Ganze, Marie spielt die „Hexe“ und murmelt Unsinn.

Dann sagt Hannah: „Wenn’s echt ist… dann zeig uns was. Gib uns ein Zeichen.“

Der Zeiger bewegt sich. Niemand gibt zu, ihn geschoben zu haben. Er fährt auf:
W – I – R
S – I – N – D
H – I – E – R

Tim lacht nervös, Marie flucht, aber Leon – man sieht es auf dem Video – bekommt Gänsehaut.

Dann geht alles zu schnell.

Der Zeiger fährt plötzlich über das Brett wie von allein.
Er hämmert Worte in die Stille:
„I – H – R H – A – B – T U – N – S G – E – R – U – F – E – N“

Hannah schreit. Die Kamera fällt um. Sekundenlang nur dumpfe Bewegungen.
Dann: Stille.

Eine andere Stimme – nicht von einem der Kinder – flüstert direkt ins Mikrofon.
Leise, rau, wie zerbrochenes Glas:
„Jetzt spielt ihr mit uns.“

13. Oktober – 20:03 Uhr
Die Polizei fand das Baumhaus leer. Keine Kinder. Keine Spuren. Nur das Ouija-Brett. Und darunter – mit Blut geschrieben – standen vier Namen. Und ein Datum: "Heute."

14. Oktober – 02:19 Uhr
Leon wurde als Erster gefunden. Oder das, was von ihm übrig war. In der Badewanne seiner Eltern. Hautlos. Sein Gesicht war ins Fliesenmuster eingeritzt, mit Fingernägeln, bis auf die Knochen abgeschabt. Die Kamera lag daneben. Das Video hatte sich weiter aufgenommen.

Man hört, wie jemand lacht.
Nicht Leon. Nicht eins der Kinder.

Etwas anderes.

14. Oktober – 04:44 Uhr
Tim sitzt in der Psychiatrie. Er spricht nicht mehr. Nur eines sagt er immer wieder:
„Sie spielen weiter. Auch wenn du wegschaust. Auch wenn du nicht mehr hörst. Sie spielen weiter.“

Letzter Eintrag – Unbekanntes Datum, kein Zeitstempel
Ich hab das Brett gefunden. Ich schwöre, ich hab es verbrannt. Es hat geschrien.

Aber heute früh… lag es wieder auf meinem Schreibtisch. Das Brett war warm.
Darauf stand:
„Noch nicht alle haben mitgespielt.“

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