Tagebuch eines Gebundenen - Band II: Blutzeugen
đź““ „Tagebuch eines Gebundenen – Band II: Blutzeugen“
Tagebuchfragmente eines Schwarzdorn-JĂĽngers, gefunden im Sarkophag der Tiefe. Die Tinte bestand aus Knochenmark. Das Pergament war menschlich.
Eintrag 1 – Die Nadel bewegt sich wieder
Ich habe die Reste von Sister Elara aufgewischt. Ihre Haut hing in Streifen von der Decke. Wie GewĂĽrze, die langsam trocknen.
Der Ritus war erfolgreich. Das Gefäß hat gezuckt. Das Auge hat gezwinkert.
Aber ich glaube… ich glaube, ich habe Fehler gemacht beim Versiegeln.
Ihre Augen brannten zu lang. Sie sah mich.
Ich habe seitdem diese Gedanken.
Wie Splitter hinter den Augen.
Ich will sie rausziehen, aber ich finde keine Zange.
Eintrag 4 – Die Stimme in der Wange
Die Stimme flĂĽstert, wenn ich kaue.
„Biss fester. Zerkau dein Schweigen.“
Ich habe mir die linke Wange aufgeschlitzt, um sie zu vertreiben.
Sie lachte. Sie wohnt jetzt dort.
Ich habe meine eigenen Sehnen angezapft und mich mit mir selbst gefesselt, um nicht nachts herumzuwandeln. Aber als ich heute aufwachte, waren meine Finger voller Schlamm.
Ich glaube, ich habe gegraben.
Ich glaube, ich suche etwas.
Eintrag 6 – Blut kennt Blut
Heute kam Bruder Kael nicht zurück. Wir hatten ihn für das nächste Ritual vorgesehen. Die anderen flüsterten:
„Er hatte Zweifel.“
„Er sprach von der Polizei.“
„Er hat Namen genannt.“
Ich habe sein Tagebuch gefunden.
Er hatte Seiten ĂĽber mich geschrieben.
Ich habe mich auf Seite 14 selbst zitiert.
Aber ich habe das nie gesagt.
Wer schreibt mich?
Bin ich nur Tinte in einem größeren Buch?
Ich habe Kaels Zunge heute in das Schweigeglas gelegt.
Sie zuckte noch eine Weile.
Sie hatte meinen Namen gesprochen, aber rückwärts.
Eintrag 9 – Die Nachricht an die AuĂźenwelt
Ich habe es getan.
Ich…
Ich habe sie informiert. Die Polizei. Den Ermittler. Den Fremden mit den toten Augen.
Ich habe das Buch kopiert – oder das, was ich davon erinnerte – und versteckt. Im alten Zisternenschacht. Zwischen den Opfern von 2016.
Ich habe meine eigene Haut benutzt als Pergament.
Wenn du das hier liest, Fremder, dann ist es dein Buch geworden.
Du bist der neue Autor.
Der neue Schreiber der Wahrheit.
Wir alle sind nur Seiten.
Und der Schwarzdorn will ein neues Kapitel.
Eintrag 13 – Das Geschenk
Die anderen wissen, was ich getan habe.
Ich höre, wie sie unter dem Boden kriechen.
Sie nagen sich durch die Wände.
Sie schleifen sich die Zähne stumpf, damit ich nicht höre, wann sie zubeißen.
Ich weiĂź, dass ich geopfert werde.
Aber nicht fĂĽr ein Ritual.
Sondern als Botschaft.
Mein Tod soll der Brief sein.
An ihn. Den Ermittler.
Damit er kommt. Damit er sucht. Damit er sieht.
Ich werde das Letzte sein, was er jemals liest.
Letzter Eintrag – Das Geräusch von Papier unter der Haut
Sie haben mich an den Knochen aufgehängt. Ich bin lebendig.
Mein RĂĽcken wurde aufgeschlagen. Dort schreiben sie jetzt.
Sie benutzen meine Wirbel als Tintenfass.
Ich spĂĽre jeden Buchstaben.
Sie kratzen sich in meine Nerven.
Und ich schreie mit jedem Punkt.
Ich bete, dass der Ermittler bald kommt.
Dass er diese Worte liest.
Dass er denkt, er könne das stoppen.
Aber das ist der Witz:
Er ist schon Teil davon.
Er war es immer.
„Ein Auge öffnet sich nie nur zur Hälfte. Wenn du hineinsiehst – siehst du dich. Wenn es zurĂĽckblickt – sieht es durch dich hindurch.“
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